Arbeit ist keine Wellness-Oase

In unserer modernen Welt sind die Menschen so sehr beschäftigt, dass sie vor lauter komplizierter Komplexität die einfachen Banalitäten aus den Augen verlieren. Darunter leiden dann meist sowohl Mitarbeiter als auch Kunden. Eine entscheidende Banalität ist für mich die Frage: Was ist überhaupt Arbeit?

Leg' Dich mit dem Kunden an

Meine Frau begleitete mich kürzlich, als ich geschäftlich in Regensburg zu tun hatte. Fußläufig vom Hotel befindet sich ein kleiner Italiener mit hausgemachter Pasta und leckeren Pizzen. Ich kenne den Laden, weil ich dort jedes Mal esse, wenn ich in der Stadt bin. Und so sitzen wir in der kleinen Trattoria und essen zu Abend. Doch meine Pizza Spinaci schmeckt irgendwie komisch - und zwar nach Fisch.

„Das kann nicht sein. Liegt bestimmt nur daran, dass der Spinat seinen Geschmack beim Backen verändert hat“, denke ich. Mit jedem Biss kämpfe ich mich weiter. Dann frage ich meine Frau. Sie lacht mich erst aus, probiert und verzieht dann das Gesicht: „Das schmeckt nach Fisch!“

Wir rufen die Kellnerin. Sie sagt: „Das kann nicht sein, aber ich kläre das für Sie“. Noch bin ich motiviert, die volle Rechnung zu bezahlen. Fehler können ja jedem Mal passieren. Die Kellnerin kommt zurück: „Ich habe mit dem Koch gesprochen und die Zutaten in der Küche probiert. Das kann kein Fisch sein.“

Ich schlage ihr vor: „Wenn Sie mögen, probieren Sie doch einfach den Spinat hier.“ Sie tut es: „Das schmeckt wirklich nach Fisch!“ Ich fühle mich nun ein bisschen verärgert und frage nach der Rechnung. Sie antwortet: „Gerne, aber am Preis kann ich leider nichts machen“.

Ich war bis vor einem kurzen Augenblick noch willens, die vollständige Rechnung zu bezahlen. Doch nachdem sie nun selber den Fischgeschmack identifiziert hat, habe ich dazu keine Lust mehr und schlage ihr vor, den Betrag um 5 Euro zu kürzen. „Das darf ich nicht“ ist ihre Antwort. Worauf ich sie nach ihrer Chefin frage.

Mittlerweile komme ich mir vor wie bei „Verstehen Sie Spaß“ und bin ärgerlich-amüsiert. Der Hammer kommt aber noch: die Chefin erscheint mit einem Topf voller frischem Spinat. „Probieren Sie. Der schmeckt nicht nach Fisch“. Ich: „Das mag sein, dass er nicht nach Spinat schmeckt. Aber der auf meiner Pizza tut es.“ Sie: „Das kann nicht sein“. Ich: „Also sagen Sie, ich lüge... Probieren Sie doch.“ Aber das wollte sie nicht.

Es war wirklich eine filmreife Szene - und das Verhalten der Kellner hat dazu beigetragen, dass ich von „ich zahle die Rechnung vollständig“ abgerutscht bin zu „Scheißladen! Ich zahle die Pizza gar nicht“.

Die Kellnerin verschwindet schimpfend. Kürzt die Rechnung dann doch um meine Pizza. Und verhält sich in einer Art und Weise, dass ich sie fristlos gefeuert hätte, wenn es mein Laden gewesen wäre. Gerade in einer zunehmend digitalen Welt ist Service der entscheidende Teil unserer Arbeit. Und sie hat anscheinend noch nicht verstanden, worum es bei Arbeit eigentlich geht.

Der Kern der Arbeit

In meinen Veränderungsbegleitungen in Familienunternehmen frage ich die Mitarbeiter häufig eine banale Frage: „Was verstehen Sie eigentlich unter Arbeit?“

Versuchen Sie es doch auch gleich mal: Formulieren Sie Ihre Definition von Arbeit in einem Satz, so als würden Sie dies für ein Lexikon aufschreiben.

Wenn Sie Ihre Kollegen und Vorgesetzte fragen, werden Sie überrascht sein, wie vielfältig die Definition eines so banalen Begriffs wie Arbeit ausfallen kann. Dabei zeigen sich häufig die Auswirkungen eines groben Fauxpas, der sich in unserer Alltagssprache breit gemacht hat. Dort heißt es: „Morgens fahre ich ZUR Arbeit“. Demnach ist die Arbeit ein Ort, an den wir fahren.

Das traf im Zeitalter der Industrialisierung zu, als Menschen an Maschinen in Fabriken arbeiteten - und es gilt heute für einige Berufszweige nach wie vor. Doch für die meisten Büro-Arbeiter ist Arbeit kein Ort. Ihre Tätigkeit besteht vornehmlich aus Denken. Und das findet überall statt: beim Duschen, im Auto, am Strand, ...

Mir ist es am liebsten, wenn wir die Dinge einfach, pragmatisch und vor allem mit gesundem Menschenverstand anpacken. Insofern könnte Ihnen mein Verständnis von Arbeit zu banal klingen, aber es bringt für mich den Kern von Arbeit auf den Punkt:

Arbeit ist eine Tätigkeit,
mit der Sie für Ergebnisse sorgen.

Demnach sind Windelwechseln oder Gartenhecke-Schneiden genauso Arbeit wie Marketing-Kampagne entwickeln oder Change-Projekt aufsetzen. Die Kellnerin im Regensburger Italiener hat zwar durch ihre Tätigkeit auch für ein Ergebnis gesorgt: nämlich einen unzufriedenen Nie-mehr-wieder-Kunden gewonnen. Aber das ist natürlich nicht die Qualität von Ergebnissen, um die es geht. Für solche „Kindergarten-Fälle“ müssen wir die Definition von Arbeit also wahrscheinlich noch weiter präzisieren: eine Tätigkeit, mit der Sie für erfolgreiche Ergebnisse sorgen.

Beschäftigt, aber nicht produktiv

Der Mythos, dass Arbeit ein Ort ist, wird in vielen Unternehmen heute nicht nur am Leben gehalten, sondern überstrapaziert. Tischkicker, Erlebnisküchen und Kuschelecken werden aufgebaut. Massagestühle und Yoga-Matten sorgen für das körperliche Wohl. 360-Grad-Feedbacks, Motivations-Tschaka und Führungsleitlinien, die niemand liest und schon gar keiner lebt, stellen sicher, dass es zumindest pro forma gut aussieht.

Es werden im weitesten Sinne fragwürdige Wellness-Programme in den Unternehmen aufgesetzt, die dafür sorgen sollen, dass sich alle wohl fühlen. Kaffee-Vollautomaten ziehen in Heerscharen in die Unternehmen ein und 6-stellige Beträge werden im Jahr für Kaffee ausgegeben (pro Unternehmen wohlgemerkt). Und wenn es um den Kern des Unternehmens, die Arbeit, geht, sind dennoch viele Mitarbeiter und Führungskräfte nur beschäftigt – aber nicht produktiv.

Sie fahren abends frustriert nach Hause, weil sie das Gefühl haben, es hat sich an den entscheidenden Stellen nichts bewegt. Sie haben zwar viel gerödelt, aber leider keine sinnvollen Tätigkeiten verrichtet. Und das frustriert auf Dauer. Vor allen Dingen, wenn Sie dann auch noch Ärger bekommen, dass Sie vor lauter Tagesgeschäft-Unsinn nicht dazu gekommen sind, die wirklich wichtigen Veränderungen voranzutreiben.

Das liegt nicht daran, dass die Angestellten alles falsch machen. Im Gegenteil: es handelt sich um ein Führungsproblem. Viele Führungskräfte sind auf Grund fachlicher Qualifikation aufgestiegen, haben jedoch Führung nie gelernt. Durch ihr schwaches Führungsverhalten sorgen sie dafür, dass in den Unternehmen Beschäftigungs-Wut anstatt Produktivitäts-Euphorie herrscht.

Für viele fühlt es sich abends auf dem Sofa an, wie beim letzten Umzug: es wurden zwar schon unendlich viele Kisten in den Transporter getragen, aber irgendwie wird das Haus nicht leerer. Es hilft eben nichts, wenn man Unternehmen zu Wellness-Oasen umbaut. Wir müssen für Ergebnisse sorgen.

Output statt Input

Befeuert wird dieses Beschäftigsein auch noch von dem, was ich in meinem Buch den Input-Virus nenne. Wer davon infiziert ist, dem ist die Aktivität wichtiger als das Ergebnis.

Zahlengesteuerte CEO‘s bekommen zum Beispiel Angst, wenn die Zahlen hinter Plan liegen. Ihre Reaktion: Druck machen. Die Folge: Angst und blinder Aktionismus in den Teams. Ob das die wirklich sinnvollen Maßnahmen sind, weiß keiner. Weil sich niemand die Zeit für eine saubere Problemdiagnose nimmt.

Every No is the chance to say Yes,
when it really matters.

Das Vademekum gegen diese Beschäftigungswut ist das Wort „Nein“. Seien Sie radikal:

  • lehnen Sie Meeting-Einladungen ab,

  • nehmen Sie keine Projekte an, solange sie mit den bestehenden noch voll ausgelastet sind,

  • wenn der potentielle Mitarbeiter Sie in den Bewerbungsgesprächen nicht 100%-ig überzeugt hat, stellen Sie ihn nicht ein — und wenn Sie es doch getan haben, kündigen Sie ihm,

  • arbeiten Sie nur mit Kunden zusammen, die zu Ihnen passen (flapsig formuliert: „auf die Sie Bock haben“)

  • trennen Sie sich von Ihrem Lebenspartner, wenn er sie immer wieder schlecht behandelt und den Versprechungen keine Verbesserungen folgen

  • treffen Sie sich nur noch mit echten Freunden und werfen Sie die ganzen „Bekanntschaften“ aus Ihrem privaten Kalender, wenn Sie das Gefühl haben, für nichts mehr Zeit zu haben

Erfolg - beruflich wie privat - ist für mich erstmal eine Frage der Haltung. Nur wenn ich eine klare Haltung habe, kann ich auch konsequent in meinen Verhaltensweisen werden. Prüfen Sie einfach mal selber: Was ist Ihr Verständnis von Arbeit? Für welchen Output (= Ergebnis) wollen Sie sorgen? Nehmen Sie sich ausreichend Zeit, um den richtigen Input (= Aktivität) zu finden?

Die gute Nachricht: eine Abkürzung gibt es immer. Sie müssen nur den Mut haben, den Umweg des Nachdenkens zu gehen. Doch Vorsicht: wenn Sie einmal eine neue Klarheit gewonnen haben, ist sie da. Und Sie müssen dann auch mit ihr leben ;-)

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