Verbindlich kommunizieren — eine aussterbende Tugend?

Verbindlich kommunizieren — eine aussterbende Tugend?

Ein Kunde von mir bekommt eine Preiserhöhung von seinem Lieferanten angekündigt — trotz bestehender Liefervereinbarungen. Der Unternehmer will das nicht einfach so hinnehmen und ruft den Verantwortlichen an. Beide verhandeln am Telefon. Am Ende verspricht der Vertreter des Lieferanten: „Ich kläre das intern nochmal und melde mich spätestens am Freitag bei Ihnen.“

Freitag Abend. Kein Zeichen des Lieferanten.

Montag Abend. Kein Zeichen des Lieferanten.

Dienstag Vormittag telefoniere ich mit dem Unternehmer: „Der Laden ist wahrscheinlich schon zu sehr Konzern geworden. Keiner traut sich, Entscheidungen zu treffen. Alles wird in zig Gremien abgestimmt. Und nichts geht voran.“

„Das stimmt. Aber eine Sache finde ich noch viel gravierender“, antworte ich. „Nämlich die Tatsache, dass Dein Ansprechpartner Dir verspricht, sich spätestens Freitag zu melden — und es einfach nicht tut. Ob Du das unzuverlässig nennst oder ihm einfach nur der Mut fehlt, Dir eine heikle Botschaft zu überbringen, ist egal. Es ist auf jeden Fall keine Art, miteinander umzugehen!“.

Verlässlichkeit zeigt sich im Schlechten — und vor allem im Guten

Es gibt viele angenehme Anlässe, um mit einem Menschen zu sprechen. Den meisten Menschen fällt es leicht, solche Unterhaltungen zu führen: Lohnerhöhung, Beförderung, Lob wegen guter Arbeit, zum Geburtstag oder der Geburt eines Kindes gratulieren. Das ist alles easy-peasy.

Doch wenn der Inhalt heikel wird, drücken sich die Menschen gerne davor, das notwendige Gespräch zu führen. Denn jetzt wird es unangenehm: Preiserhöhung trotz bestehender Liefervereinbarung, Kritik am Verhalten des Gegenübers, Ermahnung wegen qualitativ schlechter Arbeit, Abmahnung bis hin zur Kündigung.

Auch im privaten gibt es zahlreiche Anlässe: Beschwerde bei Lebenspartner, Nachbar oder Behörde. Viele Menschen scheuen den drohenden Konflikt und schieben die unangenehmen Gespräche vor sich her.

Wenn Sie jetzt denken, dass dies nur für die unangenehmen Gespräche gilt — weit gefehlt. Selbst bei den angenehmen Anlässen beobachte ich, wie sich die Unzuverlässigkeit ausbreitet:

Sie gratulieren jemandem per handgeschriebenem Brief zum Geburtstag — keine Antwort.

Sie senden jemandem zur Geburt eines Kindes ein kleines Präsent — keine Antwort.

Ein Kunde von mir versendete zu Weihnachten Lebkuchen. Doch von der Masse kam — keine Antwort. Er erzählte mir: „Wir lassen das mit den Weihnachtspräsenten jetzt ganz sein. Und Karten verschicken wir auch nicht. Da spende ich das Geld lieber hier vor Ort an ein Behindertenwohnheim. Da bekomme ich auf jeden Fall funkelnde Augen des Dankes und herzliche Begegnungen zurück — und weiß, dass ich damit etwas Gutes tue.“

Zu beschäftigt, um Danke zu sagen

In den letzten Monaten erlebe ich überall, dass die Menschen immer gehetzter sind.

Häufige Begründung: Die Arbeit ist einfach zu viel. Die Menschen ertrinken in Aufgaben. Und ständig passiert irgendetwas Unvorhergesehenes, so dass der sowieso schon riesige Aufgabenberg weiter anwächst.

Wir haben uns eine Arbeitswelt geschaffen, in der wir in einer Geschwindigkeit malochen — da ist das Duracell-Häschen langsam gegen. Weder Roboter noch Digitalisierung haben dazu beigetragen, dass wir uns von der Arbeit befreien konnten. Im Gegenteil: Ich habe den Eindruck, wir arbeiten mit zunehmender Technisierung immer mehr.

Die Virtualisierung unserer Arbeitswelt ist da nur auf den ersten Blick ein Segen. Denn durch die Videobegegnung fehlt die echte Präsenz. Der Kontakt wird flüchtiger. Beziehungen oberflächlicher. Und gleichzeitig steigt die Meeting-Frequenz. Zahlreiche Kunden beklagen sich darüber, dass sie während Corona mehr Online-Meetings haben als sonst in Präsenz. Außerdem reiht sich eine Videokonferenz nahtlos an die nächste, so dass die Menschen abends mit brennenden Augen, verspanntem Nacken wie ausgelaugte Tagelöhner völlig erschöpft aufs Sofa kippen und regungslos vor sich hin dämmern. 

Die Basics machen den Unterschied

Wie kommen wir raus aus diesem immer schneller drehenden, goldenen Hamsterrad — und werden im Umgang miteinander wieder verlässlicher? Auf Knopfdruck mit Sicherheit nicht. Aber ein paar grundlegende Prinzipien helfen, wieder Orientierung zu finden — und die Richtung, in die wir rennen, zu ändern. Diese Prinzipien sind keine neumodischen Methoden. Sondern eher Basics und gesunder Menschenverstand.

Erstens, Selbsthilfe. Betonung auf SELBST-hilfe. Übernehmen Sie Verantwortung für Ihr Leben, Ihre Verhaltensweisen und Ihre Wirkung. Quietschen Sie nicht rum, dass die Umstände sich ändern müssen. Und fordern Sie nicht, dass die Politik, die Kunden, die Nachbarn oder die Zahnfee Ihr Leben besser machen sollen. Es kommt sowieso niemand. Seien Sie selbst Mann / Frau auf der Kommandobrücke Ihres Lebens und machen Sie sich klar: Was Sie aus Ihrem Leben machen, liegt in Ihren Händen!

Zweitens, Horizont. Wo wollen Sie hin? Wie möchten Sie mit anderen Menschen umgehen? In was für einer Welt wollen Sie leben? Sie definieren den Anspruch. Und nur weil die Menschen da draußen zunehmend unzuverlässig handeln, heißt das noch lange nicht, dass es richtig ist. Machen Sie doch einfach das Gegenteil: Seien Sie verlässlich! In Worten und Taten. Seien Sie eine positive, Hoffnung-stiftende Ausnahme.

Wenn Sie möchten, formulieren Sie doch mal eine Definition von „zuverlässig sein“. Am besten schriftlich und in einem Satz. Fragen Sie ruhig auch Ihr Umfeld danach. Sie werden sehen: Gar nicht so einfach. Hier mein Vorschlag: Zuverlässig sein heißt, halte, was Du versprichst. Sollte dies mal nicht möglich sein, gehe sofort auf Deinen Gesprächspartner zu und verhandle das Ergebnis neu.

Drittens, Verbündete. Sie müssen nicht die ganze Welt retten oder für sich und Ihr Vorhaben gewinnen. Es reicht Ihre „relevante“ Welt. Heißt: die Menschen, die Bock auf Sie haben. Und natürlich auch anders herum: die Menschen, auf die SIE Bock haben. Wozu Energie in Menschen investieren, die sich gar nicht ändern wollen? Oder die Ihnen unnötig Kraft rauben? Fokussieren Sie sich und Ihre knappe Lebenszeit auf die Menschen, die Lust haben, mit Ihnen daran zu arbeiten, dass Ihr Horizont Realität wird — und die Welt so ein kleines bisschen besser.

Im Alltag ist das immer wieder eine große Herausforderung. Gestern habe ich meinem Sohn versprochen, dass wir um 18.00h zusammen Sport machen. Um 17.30h endete mein letzter Termin und ich hatte noch viel Tornado-Arbeit auf meinem Zettel: eMails beantworten, Beratungstermine vorbereiten, Angebote schreiben, …

Schweren Herzens habe ich alles einfach liegen gelassen. Laptop aus. Licht aus. Ab nach Hause. Mit meinem Sohn habe ich dann ordentlich geschwitzt und eine super Zeit gehabt. Das war unbezahlbar. Die Arbeit konnte warten. Der Moment mit meinem Sohn nicht.

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