Mut zur Haltung — Und unser Umgang mit Problemen

Wenn ich das Wort „Problem“ verwende, schrecken viele Menschen auf. Sie entgegen mir: „Das ist kein Problem. Sondern eine Herausforderung.“ Ich halte dieses Heile-Welt-Getue für gefährlich. Denn wenn das Wort Problem schon zu einem Problem geworden ist — wie wollen Sie dann die echten Probleme im Alltag lösen?

Was ist nur los in Deutschland? Ob Corona-Virus, Gender-Diskussion oder Impfgegner. Anscheinend ist ein Teil der Bevölkerung zu einem hypersensiblen Neurotiker geworden, dessen Nerven sowas von blank liegen, dass der kleinste Windstoß genügt, um einen emotionalen Orkan auszulösen.

Demokratie in Gefahr

In diesem absurden Schauspiel gehen wir sogar soweit, dass wir die Grundsätze unserer Demokratie aushebeln. Und keiner beschwert sich! Im Gegenteil: Das Bespucken demokratischer Prinzipien wird auch noch gefeiert.

Ich meine damit den Fall Thüringen. Es wurde ein FDP-Mann zum Ministerpräsidenten gewählt. Alles verlief genauso, wie es die demokratischen Spielregeln vorschreiben.

Und dann der Aufschrei: Das Ergebnis sei nicht hinnehmbar! Begründung: Die Wahl konnte nur mit den Stimmen der AfD gewonnen werden. Und solch ein Ergebnis dürfe man nicht akzeptieren. Forderung: Neuwahlen.

In meiner Wahrnehmung feierten das nicht nur die Medien, sondern auch die Öffentlichkeit. „Keinen Millimeter nach rechts!“ Eine wie ich finde richtige und sinnvolle Haltung. Doch dafür die Spielregeln unserer Demokratie aushebeln, nur weil wir mit einem Wahlergebnis nicht einverstanden sind?

Ich bin kein AfD-Wähler und stehe einigen Aussagen von Parteimitgliedern sehr kritisch, manchmal sogar fassungslos gegenüber. Aber: Die AfD ist - während ich das hier schreibe - immer noch eine demokratisch gewählte und nicht verbotene Partei in Deutschland. Und andere Meinungen muss unsere Demokratie, müssen wir, aushalten!

Was kann denn der FDP-Mann dafür, wer ihn wählt? Es wäre ein toller Moment gewesen, um als Politiker Führungsstärke zu zeigen. Stattdessen brach der Gewählte unmittelbar ein.

Stark wäre gewesen, wenn er die Wahl angenommen hätte. Und zwar trotz aller Aufschreie und Kritiken. Und dann ein Statement abgibt: „Ich werde meinen politischen Kurs genauso verfolgen, wie ich ihn vor der Wahl dargestellt habe! In welche politische Richtung die Wähler schauen, die mich gewählt haben, beeinflusst meinen Kurs nicht einen Millimeter. Null. Nada! Und damit wir uns richtig verstehen: Ich stehe auch nicht in der Schuld von irgendjemanden, nur weil er mir seine Stimme gegeben hat!“

Fehlender Mut zur Haltung

Aber starke Anführer haben wir in der Politik anscheinend nicht. Auf mich wirken die politischen Figuren eher wie Fahnen im Wind. Das Ziel: Gemocht zu werden. Der Weg: Bloß keine klaren Botschaften. Bloß keine Wählerstimmen riskieren.

Extrem treibt es die CDU für mich aktuell auf die Spitze. Denn eine Führungsspitze wollen dort viele schon nicht mehr. Doppelspitzen sind nun der Zeitgeist. Keiner will alleine Verantwortung tragen. Bis hin zu: Es muss eine Mann-Frau-Doppelspitze sein, sonst wäre man als Partei nicht mehr zeitgemäß.

Die Politik ist für mich ein Spiegelbild dessen, was ich in vielen Unternehmen erlebe - und auch im Alltag unserer Gesellschaft. Es fehlt der Mut zur Haltung.

Haltung bedeutet, eine Meinung zu haben. Haltung bedeutet, den Mund aufzumachen und zu seiner Meinung zu stehen. Haltung bedeutet, sich eindeutig mit seiner Meinung zu positionieren. Klartext statt Weichspüler!

Doch Klarheit hat einen Preis:

Je klarer Sie in Ihren Aussagen werden, desto mehr Menschen lehnen Sie ab.

Klarheit führt zu Ablehnung

Wenn es in der Öffentlichkeit geschieht, hat ablehnen im Neudeutschen einen neuen Namen bekommen: „Shitstorm“. Im kleineren Alltag nennen wir es Konflikt. Und da haben wir Schiss vor.

Und so erleben wir in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr Menschen, die ihre Meinung in verbalem Weichspüler verstecken. So weiß niemand, wofür die Person inhaltlich steht. Ist für die Person aber auch nicht schlimm, denn durch die weichgespülten, politisch korrekten Aussagen eckt sie wenigstens nirgendwo an.

Eltern sprechen am Elternabend die kritischen Themen nicht an, aus Sorge, der Lehrer rächt sich mit schlechten Noten am Kind. Gleichzeitig spricht kein Lehrer mehr Klartext mit den Schülern. Auch wenn „Sie haben in Mathe eine 5, weil Sie faul waren!“ der Wahrheit entspricht, schweigt der Lehrer lieber, aus Sorge, dass die Helikoptereltern ihm das Leben schwer machen.

In Unternehmen kritisiert keiner den Chef, weil alle Sorge davor haben, dass ihr inhaltlich guter Einwand zu einem Ende der Karriereleiter führt. Verständlich: Zuhause will das Haus bezahlt und die Familie gefüttert werden. Gleichzeitig bietet niemand dem nervigen Kunden die Stirn, der völlig überzogene Forderungen stellt. „Der Kunde ist König“ heißt heute „Customer Centricity“, also verbiegen und verbeugen sich viele anstatt ihren Kunden souverän auf Augenhöhe zu begegnen.

Das Problem mit dem Problem

Vielleicht denken Sie sich jetzt: „Die bisher genannten Beispiele sind ja auch heikle Themen. Da geht der Betroffene ein persönliches Risiko ein, indem er sich offen mit seiner Meinung positioniert.“ Richtig. Deswegen rate ich Ihnen auch: Choose Your Battles. Wählen Sie die Schlachten, in die Sie ziehen.

Und trotzdem: Die Sorge vor „blauen Flecken“, die Angst vor Konflikt und sozialer Missbilligung darf uns nicht davon abhalten, das Richtige zu tun. Und das Richtige ist zumindest, dass wir wahrhaftig miteinander umgehen.

Der Preis des verbalen Weichspülens ist groß. Denn die Angst vor den großen „Schmerzen“ hat sich bereits so in die Seele einiger Menschen gefressen, dass selbst bei kleinsten Kleinigkeiten der „Mut“ zur Haltung fehlt.

In einem Führungsworkshop erläuterte ich meine These: Veränderungen führen zu Problemen. Wenn nicht sofort, dann auf jeden Fall im Laufe der Zeit. In der Pause kam eine Mitarbeiterin auf mich zu. Sie sagte: „Herr Holzer, wir dürfen das P-Wort hier nicht verwenden“. Irritiert schaue ich Sie an: „Welches P-Wort meinen Sie?“ Sie schaut auf das Flipchart und zeigt auf das Wort „Problem“.

Reden Sie Klartext

Ich weiß, dass Worte Kraft und Wirkung haben. Deswegen sollten Sie auch nicht von einem dominanten Gesprächspartner reden. Denn „dominant“ impliziert automatisch, dass Sie sich Ihrem Gesprächspartner unterordnen. Sprechen Sie also lieber von einem anspruchsvollen, oder von einem schwierigen Gesprächspartner.

Aber fangen Sie bitte nicht an, das Wort Problem weichzuspülen. Herausforderung. Möglichkeiten. Chance. Lassen Sie den Quatsch!

Ich hatte in der Schule Mathe Leistungskurs. In jeder Stunde schrieb ich: Problem Doppelpunkt. Und dann? Lösung Doppelpunkt. Genauso wie Tausende andere Mathematiker. Naturwissenschaftler. Forscher. Weltweit. Täglich.

Probleme sind nichts Schlimmes. Probleme sind gut. Denn Probleme sind zum Lösen da. Punkt!

Ruhig bleiben

Es ist unglaublich hilfreich, wenn Sie sich daran gewöhnen, den Begriff Problem ohne Scheu zu verwenden. Denn Ihr Leben ist voller Probleme.

  • Während der Besprechung haben Sie Durst, aber das Wasser ist leer. Was machen Sie? Lösen, indem Sie neue Flaschen organisieren.

  • Sie haben viel getrunken und müssen während des Meetings auf Toilette. Was machen Sie? Lösen, indem Sie aufstehen und das WC besuchen.

  • Am Waschbecken gibt es keine Handtücher mehr. Was machen Sie? Lösen, indem Sie Toilettenpapier verwenden.

Ihr Leben ist voller Probleme. Und nun halten Sie bitte einen Augenblick inne — und denken Sie über folgende Frage nach: Wie viele Probleme haben Sie, die Sie einfach lösen — ohne dass Ihnen überhaupt bewusst geworden ist, dass Sie ein Problem haben?

Richtig: 99,9%!

99,9% Ihrer Probleme lösen Sie einfach so. Ohne mit der Wimper zu zucken. Es sind diese wenigen 0,1% der Probleme, die plötzlich wie ein tödliches Monster Ihre Emotionen hochkochen lassen.

Vor vielen Jahren bekam ich die Diagnose Krebs. Das ist ein tödliches Problem. Im Vergleich dazu erscheinen mir die 99,9% der anderen Probleme meines Lebens geradezu lächerlich.

Das Blöde ist: Für viele Menschen lösen diese 99,9%-Harmlos-Probleme ähnliche Gefühle aus wie die 0,1%-Gefahr-Probleme. Das geht mir - trotz der blöden Krebs-Erfahrung - auch manchmal so. Aber das sollte uns nicht in die Falle führen, dass wir wegen unangenehmer Gefühle gleich alle Probleme verteufeln.

Nochmal: Sie lösen 99,9% aller Probleme, ohne dass Sie merken, überhaupt ein Problem gehabt zu haben.

Also hören wir mit dem dünnhäutigen Geheule auf. Lassen Sie uns an unserer Haltung arbeiten. Stark werden. Nennen wir das Kind beim Namen: Wir haben ein Problem!

Und dann machen wir das, was Geld bringt. Was unser Überleben sichert. Probleme lösen! Und zwar hart in der Sache. Und immer fair zum Menschen.

Im Herbst 2020 erscheint mein neues Buch zum Thema „Starke Anführer“. Melden Sie sich in meinem Newsletter an, um rechtzeitig informiert zu werden.

Wenn Sie Ihre Wirkung verstärken wollen, schauen Sie doch mal in meine Seminare Power of Influence oder Leadership Excellence.

Eines noch...

Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:
Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.

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