Warum Menschen keine Verantwortung übernehmen

„Ich suche einen Freiwilligen...“ und schon senken sich alle Blicke. Dabei brauchen wir so dringend Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen. Vor allem dann, wenn etwas schief geht. Stattdessen erleben wir überall Meister im Vermeiden. Sei es durch geniale Ausreden. Oder, indem der Schuldige an den Pranger gestellt wird. Verständlich, da beides einfacher ist, als sich den wahren Ursachen zu stellen. Doch diese Unverantwortung hat einen hohen Preis: Wir lernen daraus nichts. Und die Situation verbessern wir dadurch erst recht nicht.

Das tägliche Lügen-Theater

In den Unternehmen führt dies zu bizarren Situationen. Wenn ein Projekt schief läuft, ist der Druck für die Beteiligten hoch. Und dann muss auch noch der aktuelle Projektstatus ans obere Management gemeldet werden. Statt blutroter Ampel wird einfach ein grünes Signal kommuniziert: Alles OK. Denn jeder erfahrene Projektmanager weiß, dass eine rote Ampel nur zu hektischem und blindem Aktionismus führt, da die verantwortlichen Top-Manager panisch nach einem Maßnahmenpaket zur Kurskorrektur schreien. Sie haben nämlich genauso viel Schiss wie jeder normale Mensch auch. Also lieber lügen, eine grüne Ampel melden und zusehen, dass man es irgendwie schon hinbekommt.

Wenn es dann doch schief geht, bringen erfahrene Spieler des politischen Unternehmens-Parketts rechtzeitig ihre Geschosse in Stellung, denn es gilt: Die Schuld auf jemand anderen schieben. Die Kacke ist zwar am dampfen und es gibt dringenden Handlungsbedarf. Doch statt an Diagnose und Lösungen zu arbeiten, wird vor allem der eigene Hintern erstmal gerettet.

Verantwortung ist gefährlich

Es ist also höchste Zeit, dass Arbeit zu einem lebensfreundlichen Ort wird. Gott sei Dank treibt aktuell die New Work-Welle durch die Unternehmen. Arbeit soll so angenehmer werden. Menschenfreundlicher.

Home Office, damit es sich ohne Stau und stattdessen selbstbestimmt arbeiten lässt.

Shared Leadership, damit auch überforderte Führungskräfte in Teilzeit sich die Verantwortung einer Führungsposition teilen und das Leben endlich genießen können.

Gamifaction, damit Arbeit endlich Spaß macht und der Job zum Hobby wird.

Bis hin zur purpose-driven-Company, denn Geld motiviert nicht; wir brauchen einen tieferen Sinn. Bei Starbucks geht es also nicht um Kaffee, sondern darum, den menschlichen Geist zu inspirieren und zu fördern („Our mission to inspire and nurture the human spirit – one person, one cup, and one neighborhood at a time.“). Volvo baut keine Autos, sondern will, dass niemand mehr in einem Volvo verletzt wird oder stirbt („No one should be seriously injured or killed in a new Volvo car.”). Und Facebook will kein Werbe-Universum bauen, sondern einfach nur die Welt näher zusammen bringen („Give people the power to build community and bring the world closer together.“).

Auch bei meinen Kunden erhalten solche New Work Aspekte Einzug ins tägliche Arbeiten. Und trotzdem: die Menschen haben immer noch Angst. In den Köpfen spukt die Sorge, wer einen Fehler macht, ist arm dran. Bedrohlicher kann es nur noch werden, wenn viele Fehler zum Scheitern führen und der Karren vor lauter Sumpf nicht mehr zu retten ist.

Doch wovor haben die Menschen Angst? Vor Bestrafung. Der Chef merkt sich Ihren Fehler und Sie sammeln so Minuspunkte auf Ihrem Beziehungskonto. Nächste Stufe: Ihre Karriereleiter bekommt wegen der Fehler auf einmal ein gläsernes Dach. Oder es droht sogar die Kündigung, weil Sie in einem Projekt gescheitert sind und richtig Geld verbrannt haben.

Ist die Angst berechtigt? Ja! Jeder vernünftige abhängig Beschäftigte verhält sich vorsichtig, denn Zuhause muss das Brot auf den Tisch. Das Haus will abgezahlt werden. Und, sofern vorhanden, müssen die Kinder durchgefüttert werden. Den sicheren Job und das gute Gehalt will da niemand leichtfertig aufs Spiel setzen. Am besten also erst gar keine Verantwortung übernehmen, dann können Sie am Ende auch nicht bestraft werden, wenn es mal schief geht.

Schwaches Selbstbewusstsein

Es gibt auch noch eine ganz andere Quelle für die weit verbreitete Unverantwortung. Und die hat gar nichts mit anderen Menschen, den äußeren Umständen oder dem vermeintlich sicheren Gehalt zu tun, sondern mit dem, was in Ihrem Kopf passiert. Denn wenn Sie keine Verantwortung übernehmen, also passiv verharren, dann können Sie sich selbst immer eine super Ausrede vorlügen: „Wenn ich Verantwortung übernehmen und mich anstrengen würde, dann würde ich auf jeden Fall XYZ schaffen“. Sie lassen sich also ein Hintertürchen offen, denn Sie müssten ja erstmal aktiv werden, damit Sie Erfolg haben. Da Sie nicht aktiv sind, ist es natürlich auch klar, dass Sie (noch) keinen Erfolg bei “XYZ” haben.

XYZ kann alles Mögliche sein. Eine dringend notwendige Digitalisierungs-Initiative im Unternehmen aufsetzen. Dem Chef mal die ehrliche Meinung sagen. Einen Englisch-Kurs besuchen, um endlich auch in den internationalen Diskussionen mitzuhalten. Den Traummensch, in den Sie sich verschossen haben, ansprechen, um dem Single-Dasein ein Ende zu bereiten. Die Liste ist lang und betrifft Ihr ganzes Leben. Doch wer im „Hätte-Könnte-Müsste“-Modus verharrt, übernimmt keine Verantwortung. Wagt nichts. Und erreicht auch nichts im Leben. Die unangenehme Wahrheit ist: Sie haben Angst davor, einen Fehler zu machen oder zu scheitern. Denn Sie fürchten auch jetzt dafür bestraft zu werden. Und zwar bestraft durch Sie selbst.

Die faule Trägheit

Vielleicht ist es bei Ihnen ja gar nicht so dramatisch, wie zuvor beschrieben. Vielleicht ist alles völlig normal und sind Sie einfach nur faul. Keine Sorge, Faul sein ist nicht schlecht. Vor allem dann nicht, wenn Faulheit auf Intelligenz trifft. Denn aus dieser Kombination können geniale Ideen entstehen. Faule Intelligenz sucht nämlich immer nach einer Abkürzung zum Ziel.

Doch in den Unternehmen hat sich eine gefährliche Art der Faulheit ausgebreitet: Bequemlichkeit. Wenn wir alles so lassen, wie es ist; keine Verantwortung übernehmen, dann ist das bequem. Verantwortung übernehmen, bedeutet dagegen, ein Gewicht zu tragen. Und das ist unbequem.

Zeit zum Aufwachen

Die Zeiten, in denen wir uns den Luxus der Unverantwortung erlauben konnten, neigen sich dem Ende entgegen. Unsere Bequemlichkeit hat den Kapitalismus mit Unmengen an Wachstums- und Fortschrittshormonen geimpft. In den letzten rund 100 Jahren haben wir uns so ein wahnsinnig bequemes Paradies auf Erden gebaut. Alles und jedes ist per Wisch oder Klick verfügbar. Doch jedes Wachstum stößt in einem geschlossenen System an seine Grenzen und führt zu Problemen.

Unsere Welt ist kompliziert und komplex. Und die Herausforderungen werden größer: Von Klimawandel über Armut bis zur Vermüllung unseres Planeten. Wir haben darauf noch nicht die finalen Antworten und Lösungen. Damit wir sie finden müssen mehr Menschen Verantwortung übernehmen. Sich für eine Sache einsetzen. Bei Problemen Ursachenforschung betreiben. Und dann: handeln. Allein schon deswegen, um sein eigenes Leben auf dieser Erde zu retten. Wenn dieser Egoismus dazu führt, dass Sie Verantwortung übernehmen, tun Sie automatisch viel Gutes für uns alle.

Dazu passt eine chinesische Weisheit:

He who blames others, has a long way to go on his journey.

He who blames himself is halfway there.

He who blames no one has arrived.

Wir brauchen mehr Anführer, die nicht den Schuldigen suchen, sondern die die richtigen Fragen stellen. Was ging schief? Warum? Wie können wir es lösen? Probleme identifizieren, Ursachen finden und den Fokus aller auf Lösungen richten. Wer sich als Anführer so verhält, der wird wahrscheinlich auch bemerken, dass sich auf einmal mehr Menschen trauen, in seinem Umfeld Verantwortung zu übernehmen. Und dann werden wir auch die großen Probleme unserer Zeit gemeinsam lösen.

Eines noch...
Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:

Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.

Weitere Videos sowie meine Serie #CappuccinoFriday finden Sie auf meinem YouTube-Kanal.

Auf Ihre Kommentare und Meinungen zum Artikel freue ich mich.