Babypause für Vorstände braucht Kultur — und kein Gesetz

Babypause für Vorstände braucht Kultur — und kein Gesetz

Viele Menschen wünschen sich: Karriere und Familie müssen miteinander vereinbar sein. Doch warum wird aktuell die Forderung gestellt, dass auch Vorstände einen gesetzlichen Anspruch auf Babypause haben sollen? Machen Mann oder Frau nur noch dann Karriere, wenn der Vorstandsposten erklommen ist? Dann wären also alle anderen Führungskräfte und „normale“ Angestellten karrieretechnisch Versager? Können wir von einem Vorstand nicht erwarten, dass er seine privaten Belange hinter den Beruf zurückstellt? Schließlich verdient er dafür auch deutlich mehr; ein DAX-Vorstand das 52-fache der Mitarbeiter. Im Schnitt immerhin 3,5 Mio. Euro pro Jahr.


Ja, weibliche wie männliche Vorstände haben mit allen anderen Menschen eines gemeinsam: sie sind auch nur Menschen. Sie zeugen Kinder. Werden von Krankheiten erwischt. Ihre Eltern können zum Pflegefall werden. Und ja, auch ein Vorstand muss – neben den beruflichen Belangen – die Herausforderungen des Lebens irgendwie meistern.

Doch ein Vorstand ist nicht irgendein Mitarbeiter. Ein Vorstand ist ein Anführer. Und als Anführer sollte er / sie sich auch wie ein Anführer benehmen. Denn Führung ist keine Rosinenpickerei. Heißt: Wenn eine Babypause notwendig ist, nicht weitere gesetzliche Rahmenbedingungen fordern (den Mutterschutz gibt es ja schon). Stattdessen einfach machen und mit den Weggefährten im Unternehmen eine individuelle Lösung finden.

Eine Babypause braucht die richtige Unternehmenskultur. Und nicht behütende Gesetze. Nicht der Staat ist gefragt, sondern die Anführer selbst.

DIE OPFERFRAGE

Mir scheint es, dass wir mittlerweile in einer Zeit leben, in der sich jeder irgendwann als benachteiligte Minderheit fühlt. Ständig tauchen neue Bewegungen auf, die entrüstet anprangern, wie sehr sie in der Gesellschaft benachteiligt werden und dadurch zu Schaden kommen. In vielen Situationen ist das gerechtfertigt. Aber sind Vorstände ein Opfer, das besonders geschützt werden muss?

Sie können nur dann Opfer sein, wenn es auch einen Täter gibt. Wenn also Vorstände das Opfer sind, wer ist dann der Täter? Das Aktiengesetz? Nur weil es fordert, dass die Verantwortungsträger – solange sie in Amt und Würden sind – von ihrer Haftung nicht befreit werden können?

Vorstand sein ist eine freiwillige Entscheidung. Die muss niemand treffen. Wer das Mandat eines Vorstands annimmt, bekommt damit nicht nur einen hohen Gehaltsscheck, besondere Vertragsgestaltungsoptionen und weitere Annehmlichkeiten. Er muss auch den Preis bezahlen, den das Amt von ihm einfordert. Und der ist im Wesentlichen: Verantwortung übernehmen und Haftung tragen. Wer das nicht kann oder will, muss sein Mandat niederlegen.

Wer jetzt fordert, dass Vorstände, diese Verantwortung auf Pause stellen dürfen, inszeniert damit ein neues Vorbild. Und zwar davon, dass es OK ist, von Verantwortung – auch wenn es nur temporär ist – zurückzutreten. Dass persönliche Karriere und individuelle Familienplanung wichtiger sind als die Verantwortung für Aktionäre und Arbeitsplätze. Doch genau darüber beklagen sich Führungskräfte auf anderen Ebenen heute schon: “Die Mitarbeiter sind nicht mehr bereit, Verantwortung zu übernehmen. Anstrengungsbereitschaft: Fehlanzeige. Und so versinken Qualität und Ergebnisse viel zu oft im Mittelmaß.”

Für mich ist die Diskussion rund um die Babypause von männlichen wie weiblichen Vorständen Ausdruck einer dekadenten Lebenseinstellung, die gerne immer mehr Vorzüge fordert – aber nur selten bereit ist, den Schmerz auszuhalten. Statt sich zum Opfer zu machen und neue Gesetze zu fordern, sollte ein starker Anführer in seinem Unternehmen für eine Arbeitskultur sorgen, in der flexibles Arbeiten möglich ist. Sowohl für Mitarbeiter, als auch für Vorstände.

DIE KINDERFRAGE

Drehen wir den Spieß mal um. Mit der Geburt beginnt die Babypause für den Vorstand. Er bleibt sechs Monate Zuhause und kümmert sich nur noch um Babyflasche, Windeln wechseln und sein Vaterdasein. Volle Verantwortung fürs Kind.

Nach sechs Monaten ist Schluss damit. Genug Vater gewesen. Er kehrt wieder in sein Vorstandsmandat zurück. Mit Vollgas geht er wieder seinen Aufgaben nach. Von seiner Zeit bekommt das Kind die nächsten 18 Jahre wenig ab. Immer wieder höre ich Offenbarungen von arbeitsfreudigen Männern, die übrigens nicht alle Vorstand waren: „Meine Frau sagt immer, sie war alleinerziehend“. Es war die individuelle Familienentscheidung, Arbeits- und Familienleben genauso aufzuteilen.

Wenn Vorstände nun eine verlängerte Babypause machen sollen, stellen sich weitere Fragen:

  • Sind die sechs Monate Babypause für einen Vorstand wirklich das A und O, um am Ende sagen zu können: Ich habe Familie und Karriere unter einen Hut bekommen können?

  • Ist es nicht viel wichtiger, wie man sich über Jahre hinweg um seine Kinder kümmert – anstatt fürs gute Gewissen anfangs nur ein paar Wochen oder wenige Monate Pause vom Job zu machen?

  • Manche Kinder werden im Alter von 10 Jahren schon aufs Internat geschickt — hört das dann auf, wenn die Eltern mehr Elternzeit bekommen? Oder spielen hier andere Gründe eine Rolle?

Wäre es nicht an der Zeit, dass statt Vorständen die Kinder anfangen zu protestieren: „Eltern sollen uns nicht nur zeugen, sondern sich auch ordentlich um uns kümmern!“

Wer sich für Kinder entscheidet, übernimmt mit dem Zeugungsakt eine Verantwortung. Und wer sich für ein Vorstandsmandat entscheidet ebenso. Wenn der Job so fordernd ist, dass Familie und Beruf nicht vereinbar sind, dann müssen Sie eine Entscheidung treffen. Bleiben Sie Vorstand und setzen Karriere über alles? Suchen Sie sich einen anderen Job, in dem Sie mehr Zeit für die Kinder haben? Oder tüfteln Sie Ihren persönlichen Weg aus, wie Sie Ihr Familien- und Berufsleben gestalten?

Diese Herausforderung haben nicht nur Vorstände.

  • Was ist mit LKW-Fahrern, die tage- oder gar wochenlang unterwegs sind?

  • Soldaten im Auslandseinsatz?

  • Ärzten im Krankenhaus, die neben dem beruflichen Alltag immer wieder zusätzliche Nachtschichten (Dienste) schieben?

  • Unternehmern, Gründern und Selbständigen?

Sie alle haben mehr oder weniger lange Phasen, in denen sie wenig Zeit für die Kinder und ein Privatleben haben. Weil Sie sich dazu entschieden haben, genau diesen Job zu machen. Sollen wir für all diese Gruppen auch als Gemeinschaft aufkommen? Beschweren sich als nächstes die Eltern, dass sie nur während der Sommerferien mit den Kids in den Urlaub fahren können und deswegen die Preise zu hoch sind?

Zu fordern, dass sich das berufliche und gesellschaftliche Umfeld den privaten Wünschen und Ansprüchen anpasst, ist verständlich. Aber auf Vorstandsebene ein Gesetz zu fordern, das ein Recht auf Freizeit verbrieft, ist ein Schritt in die falsche Richtung. Denn es setzt Individualismus über die Verantwortung für das Kollektiv.

DIE VERANTWORTUNGSFRAGE

Kinderwunschplanung und Familienleben sind Privatsache. Hier können Sie machen, was Sie wollen. Und das ist auch gut so. Doch egal, wofür Sie sich privat entscheiden — aus Unternehmenssicht gibt es einen Anspruch, der bleibt: Verantwortung.

Wer Verantwortung übernimmt, trägt diese auch. Verantwortung können Sie nicht delegieren. Und ein Vorstand trägt nun mal die volle Verantwortung.

Zu fordern, dass er oder sie unter bestimmten Umständen für bis zu sechs Monate davon befreit wird – um danach nahtlos wieder das Amt zu übernehmen, ist ein kindlicher Glaube. Wer Verantwortung übernimmt, befindet sich nicht in einem Wunschkonzert.

Wie soll eine erzwungene Vorstandspause überhaupt praktisch funktionieren?

  • Sollen die anderen Vorstände gezwungen werden, sich während der Auszeit mal eben in das Verantwortungsgebiet des Pausierenden einzuarbeiten und dessen Haftung zu übernehmen?

  • Soll jemand anderes für ein halbes Jahr einspringen und für Dinge die Verantwortung tragen, deren Vor- und Entwicklungsgeschichte er nicht kennt?

Beide Optionen sind möglich. Jedoch sollte niemand in einem liberalen Wirtschaftsystem dazu gezwungen werden. Denn entscheidend wird es jetzt:

  • Wer trägt die Verantwortung und die Konsequenzen, wenn plötzlich Probleme auftauchen?

Die Antwort kennen wir: Niemand! Es wird zu bizarren Streitereien kommen, in denen mühsam versucht wird, aufzuzeigen, wann das Leid seinen Ursprung nahm. Alles nur, um den Schuldigen zu finden — dem man die Schuld im Zweifel doch nicht beweisen kann. Die moderne Management-Geschichte zeigt immer wieder: Bereits jetzt kassiert der ein oder andere Verantwortungsträger gerne die Lorbeeren. Doch wenn es darum geht, die Zeche zu zahlen, sind sie die ersten, die verschwinden. Doch der Schaden bleibt. Jüngstes Beispiel: Wirecard.

In Gesprächen mit Unternehmern fällt mir immer wieder eine Haltung auf: “Verantwortung können Sie nicht delegieren.” Vielleicht liegt es daran, dass bei einem Unternehmer Verantwortung und Kapital in einer Hand liegt.

Doch egal ob Unternehmer oder Vorstand — Wenn Sie Anführer sein wollen, dann verhalten Sie sich auch wie einer. Und ein Anführer macht keine Pause, wenn es um seine Verantwortung geht. Im Gegenteil: Er trifft seine Entscheidung und bezahlt den Preis dafür.

Doch das heißt keineswegs, dass er dafür unmenschliche Leistungen erbringen muss. Selbst eine Babypause ist möglich.

BABYPAUSE BRAUCHT KULTUR; KEIN GESETZ!

Eines sollten wir bei der Diskussion in unserem modernen, westlichen Staat nicht vergessen: In unseren Unternehmen geht es um Leben und Tod. Wer im harten Wettbewerb nicht mithalten kann, Innovationen verschläft oder sich dem schnellen, scharfen Wandel nicht anpassen kann, stirbt aus. Jedes Unternehmen, das Leute entlassen oder gar Insolvenz anmelden muss, weiß wovon ich spreche.

Ich finde es richtig, dass das Aktiengesetzt einen Vorstand – egal ob Mann oder Frau, ob Vater, Mutter oder kinderlos – nicht aus der Verantwortung entlässt. Wer als Vorstand ein starker Anführer ist und einen loyalen Clan anführt, braucht auch keine gesetzliche Sonderbehandlung. Er sorgt einfach für eine individuelle Lösung, um Baby, Krankheit oder Pflege mit den beruflichen Anforderungen unter einen Hut zu bekommen.

Außerdem wird ein Vorstand sowieso nur für fünf Jahre berufen. Ob er danach wiederberufen wird, ist nicht garantiert. Statt also ein neues Gesetz zu fordern, sollten Sie als Anführer lieber an der richtigen Unternehmenskultur arbeiten, die ein flexibles Miteinander leichter macht. Hier fünf praktische Hebel, die Sie jederzeit in Bewegung bringen können:

1.) INDIVIDUELL VERHANDELN

Starke Anführer entwickeln ein Umfeld, in dem sie mit den Menschen verlässlich zusammenarbeiten. Sowohl mit Führungskollegen als auch mit dem Aufsichtsrat. Bei Fragestellungen machen sie einfach das, was sowieso in den meisten Fällen hilft: miteinander reden.

In Absprache mit allen Beteiligten kann ein Vorstand jederzeit eine individuelle Lösung finden, um seine Zeit in besonderen Lebenssituationen flexibler einzuteilen. Dafür braucht es kein Gesetz. So kann er / sie sich um Baby, Krankheit oder Eltern kümmern und trotzdem das Mandat zu behalten. Sie können z.B. eine Absprache finden, um den Vorstandsvertrag kurze Zeit ruhen zu lassen. Oder Sie arbeiten einfach aus der Ferne mit Standgas weiter. Ständig physisch anwesend müssen Sie in der heutigen Zeit nicht mehr sein.

2.) MODERNE ERREICHBARKEIT

Die moderne Technik macht es möglich — und Corona hat uns dazu gezwungen, es nun auch umzusetzen. Die Arbeit von unterwegs ist möglich. Sie können sich als Vorstand in Babypause jederzeit mit Ihrem Team abstimmen. Dazu müssen Sie nicht 24h im Büro sitzen. Es reicht, wenn Sie sich eingebunden halten. Und mal ehrlich: Kennen Sie einen Vorstand, der Interesse daran hat, sechs Monate lang gar nichts mehr von seinem Job zu hören? Ich kenne keinen einzigen. Und wenn doch, würde ich der Person die Frage stellen: Bist Du eigentlich noch im richtigen Job?

3.) ANDEREN MENSCHEN RAUM GEBEN

Wenn Sie gut geführt haben, können Ihre Teams sowieso hervorragend ohne Sie arbeiten. Eine Ihrer wichtigsten Führungsmaximen lautet dann: Nicht stören! Sie führen auf Augenhöhe und genießen natürliche Autorität. Wenn es im Alltag schon gut ohne Sie läuft, warum sollte es dann zu großen Problemen kommen, wenn Sie für eine Weile nur noch virtuell erreichbar sind? Eine vorübergehende Auszeit ist eine Frage von Vertrauen, Führung und Vorbereitung.

4.) VERTRAUEN

Wenn Sie Ihre wichtigen Schlüsselpositionen mit Menschen besetzt haben, denen Sie vertrauen; mit denen Sie vielleicht sogar schon längere Zeit hervorragend zusammenarbeiten. Dann können Sie das „Risiko“ einer Babypause auch ohne Haftungssorgen eingehen.

Sie vertrauen dann darauf, dass niemand Ihre Abwesenheit missbraucht, um Mist zu bauen. Im Gegenteil: Sie gehen davon aus, dass jeder alles dafür tut, um gute Ergebnisse fürs Unternehmen und damit für den ganzen Clan zu erzielen. Und dann haben Sie auch keinen Schiss davor, Ihr Mandat zu behalten und die Haftung zu tragen, auch wenn Sie temporär nicht Vollzeit im Job eingebunden sind.

5.) BLICK IN DEN SPIEGEL

Und mal unter uns: Warum fordern Sie als Vorstand überhaupt diese Sonderregeln? Genießen Sie nicht schon genug Privilegien? Haben Sie Angst, dass Sie – sollten Sie Ihr Mandat mal niederlegen – danach keinen adäquaten Job mehr finden? Was ist los mit Ihrem Selbstbewusstsein?

Worum geht’s also wirklich?

Was ist also eigentlich das Problem hinter der elitären Diskussion um die Samthandschuh-Behandlung von Vorständen? Um das Wohl der Kinder geht es mit Sicherheit nicht.; denn die brauchen mehr als nur sechs Monate Zuwendung. Mit der Gleichberechtigung von Mann und Frau kann die Diskussion auch nichts zu tun haben; denn sowohl männliche wie weibliche Vorstände können ihr Mandat derzeit nicht pausieren lassen.

Vielleicht ist die Forderung nach gesetzlicher Behütung der Vorstände eher die Folge von schlechten Unternehmenskulturen. Einem Arbeitsumfeld, in dem es an Gemeinschaftssinn, Verlässlichkeit und Vertrauen fehlt. Eine Kultur, der es an Eigenverantwortung und Selbstbestimmung der Menschen fehlt. In der nicht miteinander gesprochen und vertrauensvolle Absprachen gefunden werden können. Und wenn Werte wie diese nicht vorhanden sind, dann braucht es eben Papa Staat und Mutter Gesetz, um für Regeln, Vorgaben und Verbote zu sorgen, um die Anführer zu schützen.

Aber wollen Sie von solch einem Anführer angeführt werden, der diese Art von Behütung einfordert? Und wäre es nicht viel sinnvoller, statt an Gesetzen, an der Arbeitskultur in den Unternehmen zu arbeiten? Gelebter Respekt und Vertrauen lösen manches Problem. Und ermöglichen mit Sicherheit auch Babypausen. Ganz ohne behütenden Staat und neue Gesetze.


Eines noch...

Das Stärkste,
was Sie tun können, ist:
Gegenwart machen!
Für und mit den Menschen.