Das Märchen der Karriere in Teilzeit

Das Märchen der Karriere in Teilzeit

In unserer dekadenten Wohlstandsgesellschaft gehört es zum guten Ton, Ansprüche zu formulieren. Sie brauchen nur lange genug nachdenken, dann werden auch Sie einen Grund finden, warum Sie sich diskriminiert und benachteiligt fühlen — und das Leben einfach unfair ist.

Es muss doch bitte möglich sein, ein perfektes Leben zu leben — ohne sich dafür krumm zu machen. Hier mal ein aktueller Wunschzettel aus dem 21. Jahrhundert:

  • Partnerschaft… in Teilzeit — die natürlich erfüllend, warmherzig und tiefgründig ist.

  • Kinder… in Teilzeit — die sich natürlich durch optimierte Erziehungsmethoden prächtig zu selbständigen, erfolgreichen und glücklichen Erwachsenen entwickeln und natürlich „best friends“ mit den Eltern sind.

  • Qualitätszeit für Sie selbst… in Teilzeit — ausreichend Freiraum für Urlaube, Hobbies, Familie, Freunde, Sabbaticals und Selbstverwirklichung.

  • Karriere… in Teilzeit — Anspruch auf Führungspositionen, Verantwortung und Prestige, aber bitte nur bei maximal 30 Stunden in der Woche. Überstunden sind selbstredend nicht erwüscht.

Und all das soll natürlich auch noch fürstlich bezahlt werden: mindestens 100.000 Euro pro Jahr, Firmenwagen, private Krankenversicherung, Einrichtung des Home-Office, bezahlte Kinderbetreuung, …

Diese Ansprüche sind modern — und machen mit Blick auf die begrenzte Lebenszeit auch Sinn. Aber dennoch: Etwas ist faul an dieser Forderung.

Wohlstand fällt nicht vom Himmel

Wohlstand mussten sich unsere Eltern und Großeltern durch harte Arbeit verdienen. Wir scheinen zu vergessen, dass es ebenfalls harte Arbeit braucht, um unseren Wohlstand zu erhalten.

Jeder Athlet weiß, dass er hart arbeiten muss, um auf dem Olymp seiner Disziplin anzukommen — und dort zu bleiben. Man munkelt über Michael Jordan, dass er nach einem Spiel die Aufzeichnung analysierte, während seine Mitstreiter bereits ihren Feierabend genossen. Gleiches soll für Ronaldo gelten: Er war bereits im Fitnessstudio, wenn die anderen erst zum Training erschienen. «Training mit Ronaldo war wie ein Krieg», berichtet der ehemalige Kollege Dimitar Berbatow über ihn.

Selbstredend gehören zu Spitzenleistung auch Pausen. Ronaldo soll sogar seinen Schlaf planen und als Teil seines Trainings verstehen. Doch eines bleibt im Kern bestehen: Wer erfolgreich sein will, muss Verantwortung übernehmen.

Büros verkommen zu Wellness-Oasen — während der scharfe Wettbewerb lauert

Nur in der Wirtschaft breitet sich der Irrglaube aus, dass Spitzenleistung möglich sei, obwohl wir unsere Leistungs- und Anstrengungsbereitschaft senken.

Diese mentale Haltung hat mittlerweile auch die Führungs- und Vorstandsetagen erreicht. Vorstände taten sich in der Initiative «Stay on Board» zusammen, um das Aktiengesetz zu ändern. So können mittlerweile auch Vorstände eine bis zu 6-monatige Auszeit nehmen, wenn privat-persönliche Themen wichtiger erscheinen als die Verantwortung für den Firmen-Clan.

Und so stimmen immer mehr Unternehmen in den Ringeltanz mit Anfassen ein: stellen Kicker auf, bieten Yoga-Kurse an, organisieren Rafting-Touren für den Team-Spirit, ermöglichen flexibelste Arbeitszeitmodelle, um Sabbatical und «arbeiten von wo Du willst» zu ermöglichen.

Und wenn es immer noch nicht genug ist, wechseln die Mitarbeiter in einer Branche einfach den Arbeitgeber. Manche Branchen fahren mittlerweile Karussell: Firmen stellen 20% neuen Mitarbeiter ein; verlieren im gleichen Jahr jedoch auch 20% der Crew. Im Ergebnis sind es genauso viele Mitarbeiter wie vorher. Einziger Unterschied: Sie müssen alle eingearbeitet werden — und die Gehälter sind um 30.000 Euro p.a. gestiegen.

Ich höre von Führungskräften wie Mitarbeitern ständig die Klagen über unproduktive Meetings, da Menschen nicht vorbereitet erscheinen. Es sitzen teilweise sogar Kollegen drin, die zum Inhalt gar nichts beitragen können, sich dann aber durch zeitraubende Phrasendrescherei profilieren. Es werden sinnlose Projekte angeschoben und wertvolle Zeit mit nebensächlichen Tätigkeiten verschwendet.

Zukunft der Arbeit

Die geschilderten Probleme lösen wir jedoch nicht dadurch, dass wir weniger oder in Teilzeit arbeiten. Im Gegenteil: Wir müssen härter arbeiten. Härter im Sinne von fokussierter, engagierter. Fordernder, Themen in Frage zu stellen und uns auf das fokussieren, was Sinn macht.

Keine Frage: Arbeit muss gleichzeitig auch menschlicher werden. Es kann nicht sein, dass Menschen sich förmlich kaputt arbeiten. Weder mental, noch körperlich. Das müssen wir besser hinbekommen.

Die Lösung ist jedoch nicht, an den Symptomen rumzudoktern. Klüger wäre, die Arbeit so zu verändern, dass sie nicht unangenehm erschöpft und krank macht. Sorgen Sie lieber für eine Arbeitskultur, in der wir abends angenehm erschöpft aufs Sofa fallen.

Führung ist gefragt: Wie wollen wir arbeiten, so dass wir Spitzenleistung bringen, ohne uns zu verheizen?

Was soll dazu auch die Alternative sein? Mittelmaß anstreben? Wenn Sie wirklich in der Hängematte Mittelmaß liegen wollen, ist es nur eine Frage der Zeit, bis Sie vom scharfen Wettbewerb aufgefressen werden.

Sorgen Sie stattdessen für ein Umfeld, in dem Menschen Bock haben, sich anzustrengen. Spitzenleistung bringen. Auch mit virtuellen Teams, deren Mitglieder quer durch Europa verteilt sind.

Dazu braucht es aus meiner Erfahrung nicht die neuesten Führungs-Modelle, sondern vor allem die Basics. Zum Beispiel verbindlich und verlässlich miteinander umgehen. Eine konstruktive Streitkultur leben. Oder die Fähigkeit, hart im Sinne von wirkungsvoll zu arbeiten — um nicht viele Stunden mit unnützen Meetings und ähnlichem zu vergeuden.

Daran arbeite ich mit meinen Kunden — und ja: Das ist verdammt anspruchsvoll. Aber es ist möglich. Und es lohnt sich! Denn wenn dann Erfolge sichtbar werden, kommt die Erfüllung bei den Menschen von ganz alleine.

Dazu müssen wir in Deutschland nur noch lernen, unsere Erfolge etwas selbstbewusster zu feiern. Aber das ist eine andere Baustelle ;-)

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