Zwischen Anspruch und Absurdität – Warum Arbeit mehr als ein Wunschkonzert ist

Zwischen Anspruch und Absurdität – Warum Arbeit mehr als ein Wunschkonzert ist

Anspruch zu haben ist per se nichts Schlechtes. Im Gegenteil: Wer etwas fordert, zeigt, dass er sich selbst und seine Leistung ernst nimmt. Doch in vielen Unternehmen kippt diese Haltung derzeit in eine absurde Richtung.

Arbeit ist kein Wellnessangebot

Was haben diese Forderungen gemeinsam?

  • vier Tage Home-Office,

  • kostenlose Kaffee-, Tee- und selbstverständlich auch Milchalternativen,

  • vom Arbeitgeber (mit-) finanzierte Fitness-Studio-Mitgliedschaften,

  • Workation vom Strand aus oder gar

  • "Maybe-Days": Wer sich an einem Tag nicht arbeitsmotiviert fühlt, bleibt mangels Bock einfach Zuhause (leider kein Witz...).

All diese Forderungen erlebe ich derzeit in der Praxis. Auch wenn einige davon nachvollziehbare Hintergründe haben: sie zeugen nicht mehr von einem gesunden Selbstbewusstsein derjenigen, die sie einfordern – sondern von einem fatalen Missverständnis darüber, worum es in der Arbeitswelt eigentlich geht.

Wo liegt die Grenze?

Nicht jede Forderung ist automatisch falsch. Schauen wir uns die zuvor genannten Beispiele nochmal an und differenzieren:

  • Ein flexibles Home-Office kann Sinn machen und die Produktivität / Effizienz steigern. Wenn es zu viel wird, verlieren wir jedoch Gemeinschaftsgefühl und informellen Austausch.

  • Eine Geste wie kostenlose Getränke fördert die Wertschätzungskultur. Doch wenn aus der freiwilligen Leistung des Arbeitgebers ein gefühlt "einklagbares" Recht auf Vielfalt im Kühlschrank wird, verlieren wir das Maß.

  • Der Arbeitgeber soll das Fitness-Studio mitbezahlen? Nein, der Arbeitgeber ist nicht für das Freizeitglück seiner Mitarbeiter zuständig.

  • Workation am Strand, während die Kollegen in der Produktion jeden Tag vor Ort malochen? Unabhängig von Neid und Missgunst: Lässt sich in der Praxis zeigen, dass Workation das Format ist, mit dem Teams gemeinsam Spitzenleistung bringen? Die Wahrheit ist wohl eher: Wer 6 Monate Urlaub machen will, sollte versuchen, ob er bezahlten und unbezahlten Urlaub kombiniert bekommt.

  • “Maybe Days”? Wer so etwas fordert, bleibt am besten gleich ganz Zuhause und schreibt Bewerbungen. Wer will Kollegen haben, die so eine Arbeitseinstellung mitbringen?

Unternehmen sind keine Erziehungsberechtigten, die jedes Bedürfnis ihrer "kindischen" Mitarbeiter befriedigen müssen.

Der stille Rückzug: Dienst nach Vorschrift

Doch warum erleben wir diese Verschiebung überhaupt? Warum wünschen sich Menschen zunehmend mehr individuelle Freiheiten – und gleichzeitig sinkt ihre Identifikation mit ihrer Arbeit?

Aktuelle Studien zeigen: Die emotionale Bindung der Mitarbeitenden an ihre Unternehmen ist auf einem historischen Tiefpunkt. Laut Gallup Engagement Index 2024 liegt der Anteil der Beschäftigten mit hoher Bindung erstmals im einstelligen Prozentbereich. Gleichzeitig hat sich die Zahl jener verringert, die innerlich bereits komplett gekündigt haben. Was bleibt, ist die große graue Masse: Menschen, die still ihre Arbeit erledigen – aber ohne echten Antrieb oder Engagement. Dienst nach Vorschrift ist zur neuen Normalität geworden.

Diese innere Distanz hat Konsequenzen: Nur etwa die Hälfte der Beschäftigten plant, in einem Jahr noch beim aktuellen Arbeitgeber zu bleiben – während Headhunter aktiver denn je sind. Noch alarmierender: Das Vertrauen in Unternehmen und ihre Führung sinkt spürbar – sowohl in Hinblick auf wirtschaftliche Stabilität als auch auf Leadership-Kompetenz.

Arbeit ist Gemeinschaft

Dabei wird oft vergessen: Der größte Benefit der Arbeit ist nicht der Kaffee oder das Gym-Abo. Es ist die Zugehörigkeit. Wer in einem funktionierenden Team einen sinnvollen Beitrag leistet, ist Teil einer Erfolgsgemeinschaft. In Zeiten zunehmender Vereinsamung und mentaler Herausforderungen ist das kein zu unterschätzender Wert. Arbeit kann Halt geben, Struktur, Sinn.

Gewolltes Mitglied einer Gruppe zu sein, weil man einen sinnvollen Beitrag leistet, ist eine wirkungsvolle Medizin gegen Vereinsamung und Depressionen.

Was Arbeit wirklich bedeutet

So mancher LinkedIn-Post feiert Arbeit als Selbstverwirklichungsreise mit Latte-Art und Purpose-Coaching. Die unbequeme Realität ignorieren solche Ideale gern: Arbeit ist in vielen Bereichen immer noch Maloche. Sie verlangt Einsatz, Verlässlichkeit – und nicht selten, dass man auch dann liefert, wenn’s gerade nicht Spaß macht.

Vielleicht müssen wir auch eine Grundsatzdiskussion führen, um alle Beteiligte wieder auf die gleiche Seite im Buch zu bekommen, was wir hier eigentlich machen. Hier mein Vorschlag: Menschen arbeiten, um Kunden einen Nutzen zu stiften. Dafür bezahlt er einen Preis. Von diesem Preis werden Gehälter, Benefits und vieles andere finanziert. Wer das vergisst, verwechselt Unternehmen mit Wohlfahrtsverbänden.

Zurück zu Maß und Mitte

Wir brauchen eine neue Balance. Ja, Unternehmen müssen als Arbeitgeber attraktiv sein. Ja, moderne Arbeitswelten müssen Flexibilität bieten. Aber sie dürfen nicht zum Wunschkonzert verkommen. Wer als Mitarbeiter nur fragt, was er bekommt, statt was er beiträgt, hat das Prinzip verfehlt. Und wer als Führungskraft alles gewährt, verliert Respekt und Orientierung.

Arbeit darf fordern. Und sie darf etwas zurückgeben. Aber das geht nur, wenn beide Seiten Maß halten. In diesem Sinne: Weniger Maybe-Days. Mehr Commitment. Und für alle Beteiligten gilt: Wer viel fordert, muss auch viel geben! So entstehen starke Erfolgs-Gemeinschaften.


Mehr dazu?

In meinem Buch “Aufstand der Leistungsträger” widme ich mich dem Thema: Warum wir jetzt mutig unsere Stimme für Freiheit und Wohlstand erheben müssen.