Diskutieren Sie nicht mit Ihren Teams. Streiten Sie!
Diskutieren Sie nicht mit Ihren Teams. Streiten Sie!
„Die vor gut zwei Monaten gestartete Koalition geht im Streit in die parlamentarische Sommerpause.“. So titelte die Süddeutsche Zeitung Mitte Juli, nachdem es wegen des Konflikts um die Wahl von drei Verfassungsrichtern so richtig gekracht hatte.
Bei einer gemeinsamen Vorstandsklausur der Koalitionsfraktionen sollten nun zum Ende der Sommerpause die Konflikte wieder ausgeräumt werden.
Auch wenn man sich trotz der verkorksten ersten Monate im Interesse des Staates ja eigentlich nur wünschen kann, dass diese Regierung ihren Job vielleicht besser macht als die vorherige Ampelkoalition – es sollte bitte nicht um Streitvermeidung gehen.Denn Streit zu vermeiden ist in meinen Augen kein Erfolgsrezept.
Das gilt nicht nur in der Politik, sondern auch im Privaten – und erst recht im beruflichen Kontext. Mit der Angst vor Streit werde ich jedoch auch in meinen Führungsseminaren konfrontiert. Teilnehmer erzählen mir von ihrem Dilemma. Auf der einen Seite ist ihnen klar, dass Konflikte und die Fähigkeit, sich zu streiten, keine Kür sind – sondern Pflicht jeder Führungskraft. Gleichzeitig fühlen sie sich nicht wohl, wenn es ums Streiten geht: Denn Streit sorge für Disharmonie und gefährde die Beziehungen der Beteiligten, so ihre Überzeugung.
In Summe sehen viele Führungskräfte Streitkultur und Konfliktmanagement negativ, dabei sind sie entscheidend für gute Führung. Grundsätzlich haben sie ja recht. Aber nicht, weil Streit per se schlecht ist. Sondern aus einem ganz anderen Grund: Weil sich viele Menschen falsch streiten.
Konfliktmanagement: Konstruktiv statt ego-zentriert streiten
In einem falschen Verständnis von Streit geht es nicht mehr um die Sache. Sondern darum, gewinnen zu wollen. Das Ego hat dann die Kontrolle übernommen. Und ein Ego will nicht verlieren. Denn wer verliert, ist schwach. Wer so streitet, meint, nicht verlieren zu dürfen. Und verliert deswegen erst recht.
In Wahrheit streiten so keine Anführer, sondern Verlierer-Typen. Diese falsche Form des Streits nenne ich ego-zentriertes Streiten.
Richtiges Streiten heißt für mich: für die Sache. Und falsches Streiten: für das eigene Ego.
Ich finde, diese spezielle Form des falschen Streitens muss aussterben. Denn sie führt zu nichts Sinnvollem.
Streit bleibt Streit
Wir brauchen wieder den positiven Streit, um uns inhaltlich kritisch auseinandersetzen zu können. Da sich viele Menschen gar nicht streiten wollen, fordern sie in den Unternehmen eine bessere Diskussionskultur. Oder eine Debattenkultur.
Was für ein Quatsch! Warum fangen wir gleich zu Beginn schon wieder damit an, die Dinge weichzuspülen? Streit bleibt Streit. Daran ändern auch elegante Umschreibungen nichts.
Weichen Sie dem Streit doch nicht aus, indem Sie sich irgendwelche Ersatzbegriffe zurechtbiegen. Nennen Sie das Kind beim Namen. Sie wollen sich nicht ego-zentriert streiten? Okay! Dann leben Sie doch den Streit konstruktiv und sachlich vor, sodass die Menschen in Ihrem Umfeld lernen, dass man auch vernünftig streiten kann.
Um es den Menschen, die sich nicht streiten wollen, leichter zu machen, nenne ich diese konstruktive Form des Streitens eine Streitkultur. Aber auch die beste Kultur kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im Kern das bleibt, was es ist: ein Streit!
Wer Streit im Unternehmen ausweicht, verpasst den Anschluss
Die Fähigkeit, konstruktiv streiten zu können, gehört in das Repertoire eines jeden Anführers. Und doch gibt es unter ihnen viel zu viele, die vor der Auseinandersetzung zurückschrecken.
Ich kenne einen Vertriebsleiter, der vom Inhaber der Firma gern dafür gelobt wird, mit wie wenigen Mitarbeitern er tolle Vertriebsergebnisse erzielt. Der Vertriebsleiter erzählte mir bei einem Lunch: „Ich habe nicht so wenige Mitarbeiter, weil wir so gut sind. Ich mag einfach nicht die Mitarbeitergespräche führen. Besonders dann nicht, wenn es um heikle Themen geht. Deswegen sehe ich zu, dass ich mit so wenigen Kollegen wie möglich die Ziele erreiche.“
Doch wenn Sie so wie er gern dem Konflikt ausweichen, riskieren Sie, dass Sie den Anschluss verpassen und in Zukunft nicht mehr der „Most Fitting One“ sind.
Der am besten Angepasste überlebt
Wie ich das meine? Auch heute noch treibt ein massiver Motor unsere Welt an: die Evolution. Wir können sie nicht direkt beobachten. Jedoch sehen wir ihre Auswirkungen: Denn Evolution sorgt für Veränderungen. Selbst wenn bei Ihnen gerade alles super läuft und Sie nichts verändern, können Sie darauf wetten, dass trotzdem bald irgendein Wandel zuschlägt. Die abkühlende Konjunktur, der harte Wettbewerb, fehlende Innovationen oder schlicht eine trocken laufende Pipeline. Irgendwann müssen Sie auch schmerzhaften Themen ins Auge sehen und handlungsfähig sein.
Wie können Sie in diesem ständigen Wandel überleben? „Der Stärkste überlebt“ – so wird Darwins „Survival of the Fittest“ fälschlicherweise interpretiert. Damit wir ihn richtig verstehen, sollten wir Darwins Worte klarer formulieren: Nicht „Survival of the Fittest“ – sondern „Survival of the Most Fitting One” – „der am besten Angepasste überlebt.“
Wenn Sie Konflikten ausweichen und Weichspüler bevorzugen, riskieren Sie, dass Sie den Anschluss verpassen und in Zukunft nicht mehr „Most Fitting One“ sind.
Veränderungen führen zu Problemen
Neben der Evolution sorgen auch wir Menschen ständig für Veränderung. Veränderungen werden also gleich doppelt angetrieben. Oder etwas unromantischer: Wir Menschen werden von der Evolution dazu benutzt, Veränderungen in die Welt zu bringen. Und Veränderungen führen zu Problemen.
Im Unternehmen haben Sie zum Beispiel Lieferprobleme, weil die Rohstoffversorgung aus dem Ausland eingebrochen ist und Ihre Produktion lahmlegt. Ihr Wettbewerb freut sich nicht einfach nur über diese Gelegenheit, sondern greift gleich mit voller Breitseite an, indem er jetzt massiv seine Preise senkt, um Ihnen Marktanteile zu entreißen.
Technische Innovationssprünge sorgen außerdem dafür, dass über kurz oder lang zunehmend weniger Kunden ihr in die Jahre gekommenes Sortiment in Anspruch nehmen werden. Nebenbei erfahren Sie, dass Ihre Marketing-Managerin auf einmal schwanger geworden ist – und gleichzeitig meldet Ihr Chef-Controller Elternzeit an. Am nächsten Tag liegt die Kündigung des Hoffnungsträgers auf Ihrem Tisch, den Sie doch eigentlich bereits als Führungsnachwuchs fest eingeplant hatten.
Ein ewiger Kreislauf
Sie sehen: Die Anzahl und Intensivität der Veränderungen und Probleme steigen. Der Wandel packt Sie eiskalt am Hals und drückt immer fester zu. Doch wollen Sie sich davon unterkriegen lassen?
Besser, Sie suchen mit Ihren Teams nach Lösungen. Finden gute Ideen und setzen sie um. Wagen das Experiment und überlassen es dem Controlling-Team, sich eigenständig – ohne Führungskraft – zu organisieren. Befördern ein Nachwuchstalent zum Marketing-Manager. Das gefällt dem Operations-Verantwortlichen gar nicht, denn er hatte mit dem Posten bereits geliebäugelt. Den Lieferengpass versuchen Sie durch Zukäufe von anderen Lieferanten abzufedern. Doch deren Lieferungen strotzen nur so vor Qualitätsproblemen. Und so weiter und so fort …
Es ist ein ewiger Kreislauf: Veränderungen führen zu Problemen. Probleme müssen gelöst werden. Und jede umgesetzte Lösung ist eine neue Veränderung. Und die führt wiederum zu neuen Problemen. Da kommen Sie nicht heraus.
Pflegen Sie eine konstruktive Streitkultur
Sinnvoller ist es also, dass Sie sich an drei Dinge gewöhnen:
Probleme sind der Beweis dafür, dass Sie und Ihr Unternehmen noch leben.
Probleme sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Konzentrieren Sie sich also auf das einzige, was Sie beeinflussen können: Sorgen Sie für Lösungen!
Beim Wechsel von der Veränderung zum Problem und dann zu der Lösung und wieder zur Veränderung entstehen Konflikte. Reibung. Streit. Heikle Botschaften. Schwierige Gespräche. Ihr Job als Anführer ist es, Menschen souverän durch diesen Kreislauf zu führen, um die besten Lösungen zu finden. Besonnenheit, kühler Kopf und gesunder Menschenverstand sind gefragt. Kurzum: Pflegen Sie als Anführer eine konstruktive Streitkultur.
Klarheit und Klartext
Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie kurz davor sind, heikles Terrain bei anderen Menschen zu betreten. Mein Hobby ist es jedenfalls nicht. Aber ich sage mir jedes Mal: Ich wurde nicht beauftragt, um gemocht zu werden, sondern um zu helfen. Und ich helfe, indem ich unbequem bin.
Streicheleinheiten, verbalen Weichspüler und verklausulierte Botschaften erleben meine Kunden jeden Tag. Was ihnen aber weiterhilft, sind Klarheit und Klartext.
Wenn ich versuche, die wahre Ursache von Problemen oder Konflikten herauszufinden und dabei den Finger in die Wunde lege, um den wirklich relevanten Punkt zu finden reagieren viele empfindlich darauf. Ich habe schon Vorstände erlebt, die sich dann übelste Worte an den Kopf geschmissen haben.
Doch solche Verlierer-Typen, die ego-zentriert streiten, unsachlich werden und andere beleidigen, brauchen wir nicht. Sorgen Sie lieber für eine konstruktive Streitkultur.
Drücken, bis es weh tut
Die Art, in der Gewinner streiten, geht so: hart in der Sache – und fair zum Menschen. Weichen Sie dem Streit nicht aus. Im Gegenteil: Verursachen Sie ihn sogar. Drücken Sie so lange, bis es weh tut – damit alle Beteiligten wissen, wo sie hinschauen müssen.
Sie gehen so nicht vor, um andere Menschen fertig zu machen. Sondern um zu helfen, die beste Lösung zu finden.
Lassen Sie mich die Dringlichkeit Ihrer Verantwortung anders formulieren: Diskutieren Sie nicht mit Ihren Teams. Streiten Sie! Sorgen Sie für eine gelebte Streitkultur, damit Sie und Ihre Teams den Kampf auf Leben und Tod als „Most Fitting One“ erfolgreich überleben.
Das wünsche ich mir auch von der Bundesregierung nach der Sommerpause: nicht, dass sie ohne Streit regiert – sondern mit vorbildlicher Streitkultur. Nicht für das Ego, nicht für die Partei – sondern für die Sache. Für unser Land. Für unsere gute Zukunft. Nicht als Verlierer-Typen, sondern als echte Anführer.